Anna Setecki

Ettore Prandis dritte Sinfonie

 

Die Inspiration zu Ettore Prandis 3. Sinfonie lieferte unter anderem Siegfried Lenz' Novelle Schweigeminute. In dieser lässt ein Schüler seine Liaison mit seiner Lehrerin Revue passieren - während der Gedenkfeier für ebendiese Lehrerin, die bei einem Schiffsunglück ums Leben kam. Ursprünglich als Oper geplant, schrieb Prandi nun stattdessen eine Sinfonie für Mezzosopran, Chor und Orchester, mit der er an seine ersten beiden Sinfonien anknüpft. Diese haben mit ihren Titeln einen klaren Bezug zur Natur (Slættaratindur, der höchste Berg der Färöer, Vineta, die verschwundene Insel in der Ostsee), die Handlung von Lenz' Novelle spielt am Meer, wobei Prandi nur einen allgemeinen Eindruck suggerieren möchte; bei seinen Werken handelt es sich nicht um Programmmusik. Ihn interessiert die Verbindung von Mensch und Natur, und gerade weil er selbst ein absoluter Großstadtmensch ist, sucht er regelmäßig die Nähe zur Natur, die in ihrer Schönheit den Menschen mit seinen alltäglichen Problemen klein und unwichtig erscheinen lässt.

Die 3. Sinfonie trägt im Gegensatz zu ihren beiden Vorgängerwerken keinen Titel, schließlich geben die Texte im 2. Satz schon eine eindeutige Richtung vor, sodass es keiner weiteren Hinweise bedarf. Tod und Leben, Trauer und Abschied sind die zentralen Themen des Werkes.

 

Der 1. Satz ist in Sonatensatzform geschrieben. Prandi verwendete zwei Melodien aus zwei nordnorwegischen Volksliedern, die in veränderter Weise in der ganzen Sinfonie vorkommen: Die erste nutzte er für das heftige, dramatische Hauptthema, das zu Beginn als Oboensolo erklingt, die zweite als milderes Seitenthema, von der Harfe angestimmt.

 

Der 2. Satz ist mit Gesang (Mezzosopran und Chor); er drückt die Nähe zur Natur aus und hat gleichzeitig etwas beinahe Rituelles. Am Anfang steht ein Kanon mit Text von Christian Friedrich Henrici aus Bachs Matthäus-Passione (,,Wir setzen uns in Tränen nieder ..."), gefolgt von einem strophischen Lied, das von der Mezzosopranistin solistisch gesungen wrid. Der Text stammt aus dem alten englischen Volkslied von Isaac Bickerstaffe ,,Miller of Dee" (1762), dem Lieblingslied der Protagonistin aus Lenz' Novelle. Die Mezzosopran-Stimme kann stellvertretend als die Stimme eines Menschen, um den getrauert wird, gehört werden. Es folgt ein Choral, quasi a capella gesungen, mit dem Text aus Bachs Actus tragicus (,,Gottes Zeit ist die allerbeste zeit"). Der Mittelsatz schießt mit einem Kanon, ebenfalls mit einem Text aus Bachs Actus tragicus aus dem Lukas-Evangelium: ,,heute wirst du mit mir im Paradies sein". Damit bietet das Ende des 2. Satzes die Hoffnung auf Erlösung - die gleich zu Beginn des 3. Satzes jedoch wieder in Frage gestellt wird.

 

Der Finalsatz besteht aus einem Thema mit Variationen. Zunächst dramatisch, dann nach und nach verklärter und nüchterner, folgt die Phase der Trauer. In der vorletzten Variation und in den allerletzten Tönen der letzten Variation wird die nordnorwegische Schamanentrommel eingesetzt, was die Sinfonie beinahe ,,rituell" enden lässt.

 

Die letzte Variation, eingeläutet durch die Glocke, erinnert an die Seebestattung in der Novelle, ob als Wiedervereinigung von Mensch und Natur oder als Untergang, diese Deutung lässt Prandi offen. In diesem Sinne enthält das Ende der Sinfonie eine ,,Grammatik des Abschieds" (Siegfried Lenz), ohne eine Wertung vorzunehmen.