Über ,,Slættaratindur“ - Diana Ackermann und Ettore Prandi über seine 1. Sinfonie ,,Slærattaratindur" 

 

Max Reger, Johannes Brahms, Richard Strauss – und Ettore Prandi. Findest Du, Deine Uraufführung ist im heutigen Programm in guter Gesellschaft?

Ja, auch wenn man bei diesen Namen etwas ehrfürchtig wird. Dass ich im einem Konzert neben Brahms stehe, macht mich besonders stolz.

 

Zählt er zu den Komponisten, deren Werke besonderen Einfluss auf Dich haben?

Kompositorisch und auch allgemein, ja. Müsste ich weitere Vorlieben nennen, ist da natürlich Bach, auch Jean Sibelius … und aus der jüngeren Generation der Däne Per Nørgård, dessen Musik ich lange studiert habe. An ihm gefällt mir sehr, dass er ständig seine musikalische Sprache weiterentwickelt.

 

Der Titel deiner ,,Slættaratindur“ bezieht sich auf einen Berggipfel der Färöer-Inseln, und auch im Vorwort der Partitur heißt es, die Komposition befasst sich mit „naturhaften Prozessen“. War eine bestimmte Landschaft Deine Inspiration?

Schon, obwohl man mit dem sehr romantischen Begriff „Inspiration“ vorsichtig sein muss. Aber es gibt immer Sachen, die uns anspornen, eine Art Ziel, etwas, das man ausdrücken möchte. Ich empfinde eine Affinität mit der nordischen Landschaft, und mir war seit dem Kompositionsauftrag durch Philippe Bach klar, dass das Werk mit dem Norden zu tun haben wird. Ich stehe auch Norddeutschland sehr nahe; aber ich wollte etwas Generelleres, Sinnbildliches finden. Färöer fand ich spannend, weil sie unbekannter sind, und anders als z.B. Island oder Norwegen. Die Landschaft ist noch rauer und einsamer, es gibt mehr Vögel und Schafe als Menschen, und da gibt es diesen Berg, von dem man so weit in die Ferne sehen kann wie angeblich nirgends sonst der Welt. Der spirituelle Gedanke shwingt mit, dass jeder allein ist auf der Welt (und im Norden gibt man das etwas schneller zu). Das empfindet man in diesen Landschaften stark, da gibt es den Himmel, das Meer, die Natur – und mich. Bei Caspar David Friedrich ist das ganz ähnlich: der kleine Mensch und die große Natur. Umso interessanter ist, dass dieser Berg auf Färöer etwas Besonderes hat, auch wenn man das Erlebnis auch an anderen Orten haben kann. Man stelle sich Helgoland im Winter vor, es ist kalt, um sich herum sieht man eigentlich nur 360 Grad Horizont, und man hört fast nichts, ausgenommen den Wind und einige Vogelrufe – da ist man gezwungen, etwas mehr in sich selbst zu schauen.

 

Eine „Sinfonie“ hast Du Dein Werk genannt. Hat das noch etwas mit der klassischen sinfonischen Form zu tun?

Nicht im Sinne eines viersätzigen Modells mit Sonatenhauptsatz, Adagio, Scherzo … ,,Slættaratindur“ ist eine einsätzige Sinfonie, die weniger mit der klassischen Struktur zu tun hat als mit der Bedeutung der Gattung. Eine Sinfonie ist für Komponisten das, was für Schriftsteller der Roman ist. Egal, wie viele tolle Erzählungen man geschrieben hat, an den ersten Roman hat man den Anspruch, etwas Persönliches und trotzdem Wichtiges zu sagen, eine Art Bilanz zu ziehen. Es ist ja bekannt, wie lange Johannes Brahms aus Ehrfurcht vor Beethoven seine erste Sinfonie herausgezögert hat, immer andere Werke vorgeschoben hat. Ob man will oder nicht, für Komponisten nach Beethoven ist die Sinfonie psychologisch ein bedeutender Schritt; nicht umsonst hat Sibelius gesagt, seine Sinfonien seien mehr als alle anderen Werke Glaubensbekenntnisse und müssten „innerer Zwang und eine innere Notwendigkeit“ sein. 

 

Stichwort Roman: Deiner Sinfonie steht ein Motto voran, ein Zitat aus „Salka Valka“ des Isländers Halldór Laxness: „Es sind Tausende von Vögeln, und ihre unerklärlichen Bewegungen sind wie Gedanken, die durch die Seele fliegen.“ Reden wir von rein metaphorischen Vögeln?

Nein, in der Tat habe ich mich mit dem Gesang von Vogelarten beschäftigt, die auf Färöer heimisch sind. Leider nicht direkt vor Ort; aber viele sind dieselben Arten, die auch in Norwegen und auf den nord- und ostfriesischen Inseln zu finden sind. Sie kommen in der Komposition vor, allerdings nicht durch originalgetreue Zitate – ich hatte mit dem Gedanken gespielt, aber das hat Rautavaara in „Cantus arcticus“ schon gut genug gemacht. Ich nehme sie als Vorbilder für Themen, obwohl ich auch das nicht erfunden habe, das gab es bei Vivaldi, in Beethovens Pastorale, am Beginn des „Rosenkavaliers“ … Für mich ist die eigentliche Frage allerdings, was uns diese „Signale“ sagen. Wenn ein jemand allein ist, in der Natur, im Wind, die Rufe hört, erinnern sie ihn vielleicht an etwas, lösen etwas in ihm aus. Die Natur spricht nur für sich; Vögel produzieren ihren Gesang aus Gründen, die mit uns nichts zu tun haben. Dem Papageientaucher ist ja egal, was man an Problemen und Hoffnungen mit sich herumträgt. Aber die eigene Reaktion darauf zu analysieren ist eine Chance, ist sehr aussagekräftig über uns selbst. Die Natur gibt uns auch Perspektive: Einerseits muss man alles zur Kenntnis nehmen, was einen betrifft, andererseits ist alles nicht so wichtig. Es geht immer weiter, es gibt Stürme, Sturmfluten, und auch die Vögel leben, lieben und vergehen wie alle Lebewesen.

 

Mit einem anderen Werk hast Du einen Preis des Sonzogno-Verlages gewonnen, ein Verleger, der durch seine Wettbewerbe im Laufe der Geschichte sehr bedeutende Kompositionen möglich gemacht hat. Wie wichtig sind solche Austeichnungen für einen jungen Komponisten?

Zu gewinnen ist eine Chance, sein Werk mit einem echten Orchester aufgeführt zu hören, eine Gelegenheit, die ja auch an Hochschulen während des Studiums selten sit. Aber man kann gar nicht so viele Wettbewerbe gewinnen, wie man bräuchte, um seine Miete zu zahlen. wenigsten modernen Komponisten können von ihren Werken leben, die meisten unterrichten nebenbei oder sind auch als Dirigenten tätig, als Pianisten. Dafür gibt es auch unzählige Beispiele aus früheren Generationen. Ich persönlich habe mir immer gewünscht, einen konkreten, materiellen Kontakt zur Musik zu behalten, und das bietet mir meine Anstellung am Meininger Theater. Mein Beruf als Studienleiter hilft meinem Komponieren – und umgekehrt.

 

Stephanie Langenberg im Gespräch mit Ettore Prandi

 

Herr Prandi, Sie sind in Mailand geboren, erklärten Deutschland 2004 zu Ihrer Wahlheimat und leben seit fünf Jahren in Hamburg. Dort sind Sie nicht nur als musikalischer Leiter an der Kammeroper, sondern auch als freischaffender Komponist, Pianist und Dirigent tätig. Wussten Sie immer schon, was Sie beruflich machen wollen?

Meine Familie ist keine Musikerfamilie. Als Kind – oder auch als pubertierender Mensch – findet man alles interessant. Jeder will irgendwann Polizist und Arzt oder Ingenieur werden, unter anderem auch mal Musiker. Man denkt, da kommt eine Phase, die Phase endet immer, aber die Phase „dann könnt' ich Musiker werden“ hält bei mir immer noch an (lacht). Ich habe also Klavierunterricht genommen. Ich wollte mich von Anfang an auf eine Art mit Musik beschäftigen, die auch das Schreiben nicht ausschließt. Und da kam mir die Idee, Komposition zu studieren.  

 

Können Sie sich an den Moment erinnern, als eine Ihrer Kompositionen zum ersten Mal von einem Orchester aufgeführt wurde? 

Ja, das war am Ende der Studienzeit. Mit meiner „Fantasie für Orchester“ hatte ich den 1. Preis bei einem Kompositionswettbewerb gewonnen und durfte die Probenphase und die Uraufführung miterleben.

 

 

Was sind Ihre Erwartungen an ein Orchester, wenn es die Musik, die bis dato nur in Ihrem Kopf existiert hat, interpretiert, also akustisch hörbar macht?

Natürlich versuche ich, mir das klangliche Ergebnis so gut wie möglich vorzustellen. Trotzdem ist ein bisschen Spielraum notwendig – wie in einem Theaterstück: Man weiß genau, was die Figuren sagen werden, aber wenn der Satz dann doch in der Stimme des Schauspielers erklingt, freut man sich über überraschende Ergebnisse einer Interpretation. Irgendwann wird diese Kombination von eigenen Ideen, die man Komposition nennt, abgegeben, damit das Werk „weiterlebt“. Man hat zwar weniger Einfluss darauf, aber das ist auch das Spannende: Es ist sogar zu erhoffen, dass man überrascht wird.

 

Wie gehen Sie an eine Komposition heran?

Zuerst muss eine allgemeine Idee kommen, eine Inspiration. Und wenn ein paar Grundideen klar sind, schreibe ich meistens – noch per Hand – eine Art Particell, einen Entwurf, der etwas ausführlicher als ein Klavierauszug, aber noch keine endgültige Partitur ist: ein relativ vollständiger Ablauf der Ideen. Danach kommt der Schritt, bei dem es etwas mehr ins Detail geht, und die Endfassung schreibe ich – aus praktischen Gründen – am Computer.

 

Ihre Kompositionen entstehen also nicht am Klavier?

 

Am Klavier kann ich gewisse harmonische Kombinationen ausprobieren und die eigene Vorstellung mit einem klanglichen Ergebnis vergleichen. Wenn man in einem Text einen langen Satz schreibt, dann liest man ihn noch mal langsam, ob zum Beispiel die Kommata an der richtigen Stelle sind, manchmal auch laut. Ich will aber vermeiden, dass die Hand auf der Tastatur vorschreibt, was komponiert wird, das entscheidet der Kopf.

 

Die „Vineta“-Sinfonie, ihre Zweite, ist ein Auftragswerk von Florian Csizmadia und dem Philharmonischen Orchester Vorpommern. Ihre Komposition musste dem Orchester Mitte März dieses Jahres vorliegen. Wie gehen Sie mit Fristen um und der Ihnen abverlangten Kreativität „auf Knopfdruck“?

Es ist ein Prozess, der eigene Regeln hat. Die Abgabefrist habe ich nicht als einen unangenehmen Druck empfunden. Vielmehr war sie eine Hilfe, um meiner eigenen Arbeit eine Struktur zu geben. Ich rede mit Florian Csizmadia seit mindestens einem Jahr über dieses Projekt. Im Oktober war ich ein paar Tage auf einer Hallig. Es war nie „Land unter“, es ist nichts Besonderes geschehen, was mich zum Thema einer versunkenen Insel inspirieren konnte, aber da hatte ich die Zeit, mich intensiver mit dem Projekt „Vineta“ zu beschäftigen und den genauen Ablauf zu planen. 

 

Können Sie Ihr Werk kurz beschreiben?
Die Form der Komposition besteht aus einem Thema mit Variationen. Manchmal ist das Thema im Laufe des Stückes ziemlich gut erkennbar, manchmal wird es einfach zu etwas Neuem, worin das Prinzip der Variation kaum mehr wahrgenommen werden kann.
Das Werk beginnt mit einer langsamen Einleitung, in der uns wellenartige Figuren der Harfe und der Celesta auf eine Landschaft einstimmen; durch den Einsatz von Flöten werden wir an stilisierte Vogelrufe erinnert. Diese Elemente tauchen im weiteren Verlauf immer wieder auf. Alsdann erklingt das Thema zuerst in den Violinen und wird sogleich von den tieferen Streichern imitiert. Es schließen sich verschiedene Variationen an, die sich zuerst in Sekundenabständen bewegen, dann in Terzen, dann in Quarten usw. Inmitten des Einsatzes der kleinen Trommel erklingt eine baltische Volksliedmelodie, die zunächst vom Fagott vorgetragen wird. Natur, Tier- und Menschenwelt sind in dieser Komposition omnipräsent. Die Motive werden weiterverarbeitet, die Komposition ihrem Höhepunkt zugeführt. Nach der sich anschließenden Reprise des Themas, in die eine Art „Vergebungschoral“ vierer Streicher-Soli eingebettet ist, rundet ein an den Anfang erinnernder Epilog die Komposition ab.

 

Ist Ihre Sinfonie Programmmusik?

Dank des Titels der Sinfonie kann jeder Zuhörer aus der Musik Vieles heraushören. Trotzdem folgt das Werk keinem Programm. Ich wollte nie Programmmusik schreiben, auch diesmal nicht, da ich keinen klaren Ablauf einer Geschichte darstellen möchte. Mich interessiert die Idee der versunkenen Stadt an sich – einer Stadt, die sich der Legende nach viel vorgenommen hat und irgendwann durch Hochmut das eigene Schicksal heraufbeschwor. Durch die ganze Sinfonie zieht sich das Thema der Vergänglichkeit. Menschen werden geboren und sterben. Kulturen entwickeln sich und vergehen. Inseln entstehen und versinken wieder.